In den letzten Wochen hatte ich die Gelegenheit einige Richtfeste zu besuchen. Ein Grund für mich, über diese schöne Tradition einen Artikel zu schreiben. Die Ursprünge dieses Rituals gehen weit in der Geschichte zurück.
Wann wird ein Richtfest gefeiert?
Ein Richtfest wird gefeiert, wenn der Dachstuhl aufgerichtet ist. Zu diesem Zeitpunkt hat das Haus seine vorgesehene Form im Wesentlichen erreicht. In vergangenen Zeiten war man der Fertigstellung des Bauvorhabens zu diesem Zeitpunkt schon deutlich näher, heute folgt in der Regel ein mehr- oder weniger aufwändiger Innenausbau. Da zum Beispiel bei Flachbauten in Ermangelung eines Dachstuhls das Richtfest nicht stattfinden kann, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Abwandlung des „Dichtfests“ gebildet.
Dieses abgewandelte Richtfest wird gefeiert, wenn das Dach gedichtet ist und Fenster und Türen montiert sind, der Bau also dicht ist.
Wie ist der Ablauf eines Richtfestes?
Der Ablauf des Richtfests ist im Wesentlichen gleich, nur in Details gibt es einzelne regionale Unterschiede. Der Hauptvorgang ist, dass eine Richtkrone am Dach befestigt wird, der Bauherr den letzten Nagel einschlägt, der Zimmermann den Richtspruch hält, auf das Bauwerk und den Bauherren anstößt und das leergetrunkene Glas in den Baugrund wirft, wo es zerschellen soll. Zerschellt es nicht, so bedeutet das nach altem Aberglauben Ungemach.
Die Richtkrone wird in manchen Regionen Deutschlands von der Bauherrin oder einer schwindelfreien Vertreterin befestigt. Um den letzten Nagel ranken sich wilde Gerüchte. So soll schon so manchem Bauherren ein besonders ästiges Stück Holz, ein vorgebogener Nagel oder ein ungeeigneter Hammer vorgesetzt worden sein. Heute macht man es dem Bauherren leichter, das Holz wird vorgebohrt, so dass sich der Nagel relativ leicht einschlagen lässt. Ein namenhafter Dachdeckermeister, der als Bauherr den Nagel demonstrativ aus dem vorgebohrten Loch nahm und daneben ansetzte, hatte Mühe, diesen dann gerade einzutreiben. Wie schwierig muss es dann für einen branchenfremden Bauherren sein?
Wozu gibt es das Richtfest?
Ursprünglich war das Richtfest ein Dank an die bis dahin am Bau beteiligten Handwerker — vorwiegend Maurer und Zimmerer, ja in vergangenen Zeiten sogar ein Teil des Werklohns. Allmählich wurde es zum „freiwilligen Brauch“. Allerdings kam es noch bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts vor, dass Bauherren, die kein Richtfest veranstalteten, zur Schmach ein alter Besen als Richtkrone ans Gebälk genagelt wurde.
In unser heutigen, schnelllebigen Zeit haben die Mitarbeiter der Firmen oft wenig Zeit. Nach einem fröhlichen Richtfest kann man auch nicht mehr mit dem Auto nach Hause fahren. So nehmen die Mitarbeiter von Handwerksunternehmen oftmals nicht am Richtfest teil (Ein Tipp für die Bauherren: Das Richtfest um15.00 Uhr statt um 17.00 Uhr starten lassen).
Die Familie, Freunde, (zukünftige) Nachbarn und Vorgesetzten der am Bau beteiligten Gewerke werden eingeladen. Bei Investobjekten kommen die künftigen Mieter oder die Betreiber des Objektes hinzu. Ist das Objekt entsprechend groß, werden auch Herrschaften aus der Politik geladen. An den Bierzeltgarnituren, bei denen oftmals die Bauzeichnungen als Tischdecken genutzt werden, kann somit ein Austausch zwischen Politik und Wirtschaft entstehen. Hoffen wir, dass der Brauch des Richtfestes noch mindestens so lange erhalten bleibt, wie es ihn schon gibt und, dass noch viele solche Feste gefeiert werden.